Rückblick Anfang Hesinde

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Elvoron
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Rückblick Anfang Hesinde

#1

Post by Elvoron » 2019-01-30 (Wed) 12:59

Anfang Hesinde erschien in der Bärenburg, Dragosch von Sichelhofens Knappe Brin von Rhodenstein, um vom Ableben des Schwert der Schwerter zu berichten. Ihr wart anscheinend so beschäftigt das ihr dessen Besuch in der Burg gar nicht mitbekommen habt.

Die Erzählung:


Im Boronmonde – als im Weidenlande längst
der Winter herrschte und die Stürme tosten – kehrte
Dragosch von Sichelhofen auf den Rhodenstein
zurück. In seinem Gefolge ritten hundert Geweihte und Ritter
aus den großen Tempelburgen zu Wehrheim und Angbar. Brin,
der Knappe, hatte Mauerwacht in jenen Tagen.
Auf dem Rhodenstein waren derweilen die edlen Rittfrauen
Arabel von Arivor, Meisterin des Bundes im Westen, und
Bibernell von Hengisfort, Meisterin des Bundes im Süden, mit
gewaltiger Gefolgsschar eingetroffen. Darunter befand sich auch
Ayla, die Baronin von Schattengrund. Die Fürst-Erzgeweihte
zu Donnerbach sei gegen Mitternacht gezogen, kündete eine
Donnerbacher Gesandtschaft. Darum waren Schwertbruder
Thundra vom Rathilsteine und der Vertraute der Fürstin, der
junge Drachwill Eisengrimm von Donnerbach, hinabgeeilt aus
dem Norden. Für das Alte Reich war Nepolemo ya Torese
erschienen, ein Komtur der Ardariten. Den alten Seneschall
Dapifer von Arivor zwickten die Zipperlein allzu arg. Der
Meister des Bundes im Neuen Reiche, Ritter Wallmir von
Stÿringen, reiste im Gefolge des Erhabenen auf den Rhodenstein.
Am gleichen Tage auch forderte der Hohegeweihte des
Bornlandes, der eigensinnige Baron von Halsingen, Einlass
auf die Feste. Seitdem Kaiser Reto eine Nacht auf der Burg
verweilt hatte, war dort nicht mehr eine so edle Schar zusammengekommen.
Der alte Burgsass Norre von Bjaldorn scheute nicht Mühe
und Aufwand, die Gastgemächer der Burg und die hohe Halle
aufs Schönste herzurichten. Banner und Schilde der Meister
des Bundes und des Erhabenen prangten überall an den steinernen
Wänden in den Gängen, Gelassen, Hallen und Sälen.
Warme Feuer prasselten in den Rauchfängen der alten Halle
und der Schlafgemächer, damit die edlen Herrschaften es auch
recht gemütlich hätten.
An der Längswand des gewaltigen Ratssaales – gut und gern
dreimal zehn auf zwölf Schritt – war der Thron des Schwertes
der Schwerter aufgebaut auf einer Empore. Davor standen
in einem Halbkreis die Sessel der Meister des Bundes oder
ihrer Gesandten, angeordnet rund um einen wuchtigen Ratstisch.
Der Thron des Erhabenen war wundersam schön: Ganz
und gar aus schimmerndem, weißem Mondsilber war der Stuhl
geschmiedet. Gut zwei Schritt hoch ragte die Lehne, darauf war
aus rotem Seidenfaden eine aufrechte, krallenbewehrte Leuin
gewebt. Von silbrigen Lanzen waren die Armstützen eingefasst,
von vier silbernen, feuerspeienden Leuen ward der Thron getragen.
Und überall waren fauchende und streitende Löwinnen
eigens in den Thron hineingeschmiedet, um das heilige Geschöpf
der Göttin zu preisen. Über dem Marschallsstuhle, in sechs
Schritt Höhe an der wappenverzierten Kranzleiste, hing an
einem Flaschenzuge der herrliche Thronhimmel: Silberne Löwen,
die allen Feinden dräuten und über ihren Herrn drunten
auf dem Throne wachten, fanden sich auch dort an allen vier
Ecken, dazwischen waren Sammet und Seide in rot und silber
zu einem verwirrenden, heiligen Muster geknüpft. Viele hundert
Stein wog der Baldachin, der aus Perricum eigens herbeigeschafft
worden war. Kaum vermochten Haken, Ösen und Flaschenzug,
denselben zu tragen. Ringsum an den felssteinernen
Wänden hingen die Wappenschilde der Erhabenen, angefangen
von Heroderich von Shamaham, dem Gemeuchelten, hin zu
Dragosch von Sichelhofen.
Zur zwölften Stunde des neunundzwanzigsten Boronmondes
– die Meister des Bundes, die Gesandten der Sennen und
Baronin Ayla hatten sich bereits in der hohen Halle versammelt
– kündeten drei Hörner vom Erscheinen des Erhabenen.
Meister Dragosch, der Schöne, längst gewaschen und geheilt
von den Unbilden der letzten Schlacht, war angetan mit einem
blutroten Gewande aus Satin, das bis zum Boden hinab reichte.
Aus Ärmeln und Kragen ragten Klöppeleien hervor, vollendet
gewebt aus einem einzigen Silberfaden. Über dem Herzen,
von den mächtigen Schultern herab, trug er eine überderisch
blitzende Kette aus Titanium, woran die Leuenfibel der Erhabenen
vor dem roten Wamse wunderschön schimmerte. Der
Satin rauschte, als das Schwert der Schwerter zu seinem
Marschallsstuhle schritt - und als er darinnen thronte, war’s,
als sei Meister Dragosch dafür geschaffen und zu keinem anderen
Zwecke.
Hinter dem Schwert der Schwerter führte sein Schildknappe den
sagenumwobenen und gefürchteten Zweihänder Ferlian. Ein alter
Ritter trug den güldenen Löwenhelm auf einem roten Kissen.
Starr vor Staunen standen wir alle.
“Wir heißen euch, ihr Meister der Sennen, Gesandte des
Bundes, an Unserm Hofe willkommen”, sprach Meister Dragosch.
Er reichte die Klinge Ferlian allen Geweihten zum Kusse,
Frau Bibernell aber, seine Waffengefährtin aus früheren Tagen,
umarmte er. Und im Alttulamidischen, der ursprünglichen
Sprache der Kämpfenden Kirche, gemahnte er die Versammelten
an die zwölf ewig gültigen Gebote der Leuin, nämlich
nicht von rücklings zu fechten oder von der Seiten oder mit
unrechten Waffen ...

Er erzählte ihnen auch von der ersten Offenbarung der Göttin
Rondra, die im alten Garethi im Rondrarium geschrieben steht:

»Am Thage Frauwen RONdra, alsz vor vielen Götterlaufen
die ersten Leuth aus dem fernen Guldenlandt auf Alveranthürn
anlangten, war daz Lieblich Feldten ein verwünschenes Landt,
daz noch kaum ein klüglich Wesen zuovor geschauet hatt –
allein Fuldigor hauste in den Gulden-Felsen – und vielerleien
wildt Geschöpf sprangen über Felder, Wiesen unt Wälder: Sintemalen
die Leuin, die Königin alln Gethiers unt Gefleuchs./
Da aper warn unter den Guldenländlern die, die schlau warn
und tapfer warn; die fühleten sich den Löwen gleich unt denen
über, die feig und verschlagen in ihren Häusern warn./ Da aper
that sich MYThrael, der Himmelsleu, dem kundt, der GERon
hiesz, als mächtig Leu in dunkelm Walde, grad alsz der Recke
in ein lieblich Feenseen schwamm. Des Manns Schwertklinge
war ferne unt er trat dem Löwen entgegen, blosz wie er war.
Der Leu brüllte und bisz und schlug mit den Prancken, und
fürewahr risz er des Recken rechte Handt vom Gliede, –
GERon aper würgete dasz gewaltige Thier, und endtlich vermochte
keiner, den andern zuo bezwingen./ Da aper sprach
der ALVeraniar in andrer Gestalten zu GERon: Er that ihm
Frauwen RONdras Sein kundt, gab ihm das gulden Schwerte
Siebene Streich unt hiesz ihn, von der HERrin in alln
Landten zuo künden unt zuo vollführen im Zeichen Frauwen
RONdras, wozuo das heilig Schwerte von Herrn PRAjos
geschaffen, - dabei hatte der Recke doch allein die linke Handt
noch!/ Da aper ritt GERon von dannen, erschlug alles Ungetüm
und baute Frauwen RONdra dorten eine Hallen, wo
er MYThrael erstmal getroffen und wo heuer Arivoren sich in
den Himmel hebet./ Als er diez aper alles vollführet, da wuchs
ihm wundersam am rechten Gliede eines Leuen Klaue./ Und
er ging hin unt focht mit der Linken und Sieben-Streich, dem
himmlischen Schwerte.«

So sprach Meister Dragosch auf seinem Throne, und wir alle
lauschten gebannt den alten Sagen.
Nach einer geraumen Weile hob der Erhabene von neuem an,
und diesmal plauderte er auf ungezwungene Weise.
“Wir bedauern von Herzen, dass Eminenz Donnerhall die Zeit
nicht fand, – und wünschen zugleich dem alten Seneschall, den
Wir schätzen und lieben wie Unsern eigenen Vater, dass er
alsbald zu neuen Kräften kommen möge. Wir wollen Fürbitte
halten für den edlen Herrn”, sagte er. “Gleichwohl: wie dem
auch sei. Wir haben euch, Unsere Freunde und Räte, zusammengerufen
in diesen stürmischen Tagen, um Euch Kunde zu
geben von einer schmerzlichen Niederlage, vom Tode unserer
besten Ritter” – und auf ein weiteres erzählte er die Ge
schichte des Gemetzels in der Alten Klamm, verschwieg aber
wohlweislich den Geist des Hengisforters – “und davon, dass
Wir für gut und recht halten, einen Heerzug zu rüsten. Und
dies zu keinem andern Behufe, als den Sündenpfuhl Khezzara
vom Dereland auszulöschen.” Allen seinen Abscheu
und alle seine Verachtung hatte Meister Dragosch in diese
Worte gelegt. Auch wiederholte er vor den Hohegeweihten die
Schreckensbilder, die er seinen Ordensschwestern und -brüdern
in der Alten Klamm in düsteren Worten ausgemalt hatte.
Die Frauen Arabel, Ayla und Bibernell nickten und griffen
nach ihren Schwertern.

»Am Tage des Feuers, wenn des Schwerts Zeichen steht,/ Der
Herr der Marken kühn mit dem Schwerte hergeht./ Die Lande
gehalten, der Orken Bann gespalten,/ Mit der Göttin Gnade
entflammten Gewalten.«

So sangen sie.
Schwertbruder vom Rathilstein aber schaute nachdenklich
und sprach auch alsbald: “Erhabener”, sagte der alte Recke,
“dies ist nicht Eure erste Schlacht gewesen, wohl aber das erste
Schlachtfeld, das Ihr als Geschlagener floht. Es ziemt sich
für das Schwert der Schwerter nicht – Rondravergib! –, in
einen Hinterhalt zu geraten wie der gemeine Mietling. Zu allem
Übel seid Ihr aus der Klamm geprescht und habt Euer Heil
in der Flucht gesucht wie ein junger Knappe. Mein Marschall,
Ihr bringt der Kirche kein Glück, – ich will Euer Tun nicht
gutheißen. Wo in diesen Praiosläufen die Mär geht, ein Daimon
sei übers Weidenland gefahren, da mögt Ihr nicht zu einem
Schwertmarsch ins Orkenland rüsten.”
“Mein Freund spricht wahr”, schloss sich der junge Drachwill
Eisengrimm von Donnerbach an, “droben in der Freien Stadt
schätzen wir Euer Marschallsamt nicht übermäßig. Allzu leicht
versteht es ein Heißsporn, die ganze Kirche ins Unglück zu führen.
Ihr seid auf dem besten Wege: Euer Ritt nach Nordhag ist
das trefflichste Exempel. Wir wünschten sehr, Ihr hieltet Maß in
diesen Dingen, wie die schlauen Alfen das tun, denn ...”
“.. denn solange ein Rhodensteiner auf diesem Throne sitzt, wird
die Orkenwehr der Donnerbacher Senne nicht zugeschlagen.*
Was Meister Viburn Eurer Muhme weiland versprochen hatte.
Das wolltet Ihr doch sagen?”
Der Erhabene sprach mit ungewöhnlich scharfer Stimme.
Eisengrimm verneinte lauthals. Aber er schaute zu Boden.
“Haltet ein, Erhabener”, bat der schlaue Schwertbruder besonnener,
“der alte Zwist tut nichts zur Sache. Nichtsdestominder
ist die Fürstin nicht gewillt, unsere geweihten Ritter und
Knappen in ein sinnloses Unterfangen und den sicheren Tod
zu schicken. Eure Schmach ist nicht so sehr die unsere. Hier
im Reich finden sich die wahren Aufgaben der Kirche. Gleich
Leomar, dem Heiligen ...”
“Da sprecht Ihr gut, Rathilstein, Rondras Treu. Auch im
Bornischen sind wir wohl der Überzeugung, dass der Ork kaum
mehr, das entherzte und verschlagene Gewürm und Rotgepelz
leider Rondras aber um so eher eine Gefahr für die Zwölf-
göttlichen Lande sind. Rondraunddonnerblitznocheinmal, ich
ersuche Euch gleichfalls, mein Marschall”, der feiste Halsingen
keuchte, kreischte mehr, denn dass er sprach – ja geradezu
wand er sich unter seinen Worten, “von einem Schwertmarsche
– den letzten hatten wir zur Bezwingung des Bornlands unter
Gerbald dem Klugen, und wir wissen alle, was daraus geworden
– abzulassen. Ihr vertut Gold und Zeit – erweckt fürder den
Anschein, als stecktet Ihr mit Gevatter Hilberian unter einer
Decke.” Rathilstein und Eisengrimm pflichteten bei.
“Nimmer!” rief die Dame Hengisfort. “Das waren auch niemals
meines armen Oheims Absichten. Ihr seid ein kluger Mann,
Rathilstein, und auch Ihr, Halsingen, aber Ihr verdreht und verwechselt
das Heil der Kirche mit den Belangen Eures Fürstentums,
bei der Leuin und meinem Schwerte. Ich will meinen Ruwar
satteln und meine Klinge Rishal gürten und ... ich ...”
Meister Dragosch erhob sich. Die titanische Kette entglitt
seinen Fingern. Aus seinem Antlitze war – mit einem Male
– alle Farbe gewichen, todesbleich stand er da, die eben noch
zornesblitzenden Augen starrten schreckgeweitet. Es schien, als
wolle der Tannewetzel ihn treffen. Der Erhabene wankte. Sein
Schildknappe musste ihn stützen.
Weit hinter dem Ratstische, weit auch hinter den Gesandten
der Sennen, nicht fern vom reichgeschnitzten Hallentore, stand
der Geist. Marschall Hengisforts Geist.
Es war dieselbe Gestalt, die wir in der Klamm gesehen hatten.
Er trug denselben, blutüberströmten Mantel. Ohne Zweifel
war es das Gesicht des alten Viburn. Derselbe schüttere
Schopf, dieselben blassen, müden Züge, wenn auch grauer noch
und eingefallener als zuvor. Meister Viburn stand gestützt auf
Waridtan, den Zweihänder seiner Weihe – und seines Grabes.
Und stumm flüsterten seine bleichen Lippen drei Worte, immer
wieder dieselben drei Worte.
Langsam, ganz langsam, schickte er sich an, auf die Versammelten
zuzuschreiten. Und während er da wandelte, hob er
Waridtan Stück um Stück. Als der Geist endlich verharrte,
wies das Schwert waagerecht auf die Wand der hohen Halle,
auf irgendeinen Fleck rechts vom Throne.
Von einem Augenblicke auf den nächsten ward es allen gewahr:
Waridtan deutete auf des Erhabenen Schild. Auf das goldene
Löwenhaupt der Edlen zu Sichelhofen.
Plötzlich, gemächlich gab die hanfene Schnur nach, Stück um
Stück. Der Schild schaukelte auf und ab, hin und her, unschlüssig,
ob er hängen oder fallen sollte. Endlich – nach einer
unheimlich langen Weile – polterte er auf die steinerne Empore.
Es war das donnernde Scheppern, das uns aus unserer
Erstarrung riss.
“Er ruft mich!” gellten im selben Augenblicke die Worte der
Frau von Schattengrund. “Der Schatten, er ruft mich!” Es
stimmte. Die Geweihte sprach wahr.
Ayla von Schattengrund lauteten die Worte, die die bleichen
Lippen des Ruhlosen lautlos formten.
Der Geist verschwand, als Waridtans finstere Klinge wieder auf
die die alten Eichenplanken zeigte. Ins Nichts, dorthin, woher er
gekommen, ins Paradeis der Göttin. Wer schon weiß das?
Das Unglück aber war geschehen.
Weitere Augenblicke verharrten wir in unheimlicher Stille.
Drachwill von Donnerbach war der erste, der sprach. Er sprach
nicht, er schrie. “Ihr Meuchler”, schrie er, und seine Stimme
überschlug sich. “Ihr Mörder, Ihr ...”
“Schweigt!” zischte der Erhabene hasserfüllt. Eisengrimm gehorchte.
“Halten zu Gnaden”, fuhr Sichelhofen nicht minder dräuend fort,
“dass Wir das Schwert der Schwerter sind. Und Wir gebieten
Euch von Unserm Throne – und so wahr Ferlian Unser Schwert
sei – zu schweigen. Allein Euch, Frau Ayla, gilt das Recht
zu reden”, sagte er nach einer Weile. Es klang fast spöttisch.
Die Geweihte erhob sich so rasch, dass ihr Stuhl umstürzte.
Ihr Antlitz war zornesrot, das blonde, wallende Haar wehte im
Schwunge ihrer Bewegung. Die grünen Augen blitzten. Eiridias,
das ihr Schwert war, gleißte in ihrer Rechten.


“Ich klage Euch an vor der Leuin zu Alveran, Dragosch Aldewîn
von Sichelhofen”, rief sie, und sie nannte ihn nicht bei
seinem Schwertnamen Ferlian, “ich klage Euch an des Mordes
am Schwerte der Schwerter, klage Euch an der verderbten Lüge
und der feigen Flucht, bezichtige Euch des Verrats am Freunde
und Vater, am ...”
“Halten zu Gnaden”, sprach Sichelhofen auf ein weiteres, und
diesmal klang es bitter, “dass Wir das Schwert der Schwerter
sind, und ich befehle Euch von meinem Throne und mit allem
Rechte: Haltet ein! Verstummt und setzet Euch! Es obliegt
Euch nicht zu klagen, sondern allein die Wahrheit zu nennen.
Es obliegt allein Euch zu klagen, die Meister des Bundes
sind.”
Denn nach altem Gesetz vermögen allein die Meister des
Bundes, Recht über das Schwert der Schwerter zu sprechen.
Es war die Macht seines Wortes, das die Kirche rettete. Denn
hätten sie ihn erschlagen, dann wäre die göttingewollte Ordnung
ein für allemal zerstört gewesen. Nimmer hatte eine Geweihte
einen Geweihten gemeuchelt. Auch nimmer aber hatte
ein Schwert der Schwerter gelogen.
Es war Bibernell von Hengisfort, die alte Freundin, die den Anfang
machte. “Ich klage an, im Zeichen der Senne Baburins”,
sagte sie leise. Tränen rannen ihr über die Wangen.
“Ich verlange Euren Tod”, fauchte Halsingen.
“Ich vergebe und will keine Klage äußern.” Dies sagte die Dame
Arabel, und sie lächelte.
“Mein Marschall, auch ich will Euch die Treue halten.” Das
war der schweigsame Herr von Stÿringen.
“Ich zeige an im Namen Arivors, der heiligen Stätte”, sprach
ya Torese. Es waren die ersten Worte, die er sagte. Aber er
wählte sie bedachtsam. Meister Dragosch nickte, denn der tapfere
Komtur war nicht Meister des Bundes.
“Wir führen Klage für die Senne Donnerbachs”, stieß der junge
Eisengrimm hervor, endlich und als letzter. Wiederum gab der
Erhabene sein Einverständnis und besiegelte damit sein eigenes
Schicksal.
Es würde einen Zweikampf geben um Leben und Tod.
Was Dragosch von Sichelhofen im einzelnen verbrochen oder
nicht, war nur mehr gleichgültig.

*****

Schwertbruder Thundra, der Gelehrte, entsann sich eines alten
Gesetzes: “Ihr seid für schuldig befunden, Wohlgeboren.
Ich spreche Euch darob das erste Recht ab, Euch Schwert der
Schwerter zu heißen, und das zweite Recht, Euch Meister des
Bundes zu nennen. Im Falle Ihr gewinnet dies Gefecht – was
die Leuin verhüten möge! – mag das alles sein. Im Falle Ihr

verlieret dies Gefecht oder fliehet oder erweiset Euch als ehrlos
vom ersten Streiche an, dann mag Euch auch das dritte
Recht verlustig gehen, ein gemeiner Geweihter zu sein. Keine
Schwertweihe sollt Ihr vollführen, keinen Segen sprechen, den
Namen der Göttin nicht im Munde führen, keinen Zweikampf
fordern und keinen gewähren dürfen. Denn nichts anderes verdient
Ihr.” Die andern gaben ihr Einverständnis, selbst Meister
Dragosch, der sich das letzte Recht ausbedingte, nach der Sitte
der Erhabenen Weise, Ort und Zeitpunkt zu bestimmen. Auch
wollte er aus seinen bisherigen Schwertern seine Waffe wählen
dürfen. Dank der Fürsprache Frau Arabels wurden ihm diese
Wünsche gewährt.
Dragosch von Sichelhofen entschied, eigenhändig fechten zu
wollen. Nicht Ferlian sollte sein Schwert sein, sondern Lirondiyan.
Er liebte die Orkenwehr. Mit seinem Senneschwert war
er willens, sich zu verteidigen. Er entschied auch, dass das
Gefecht zur selben Stunde noch und in diesem ehrwürdigen
Ratsgemache ausgetragen werden sollte. Es hatte alles keinen
Sinn mehr.
Ayla von Schattengrund ward zur Streiterin der Sennen
bestallt.
Unter seinem roten Gewande trug Meister Dragosch Kettenhemd
und Brünne, als hätte er gewusst, wie es kommen würde.
Sie führte den ersten Schlag. Fast spielerisch drehte sie sich
einmal um sich selbst. Schnell und lautlos, wie ein Windmühlenflügel,
flog Eiridias durch die Luft, züngelte die geflammte
Klinge nach dem Haupte des Erhabenen.
Gerade noch zur rechten Zeit hob er Lirondiyan zur Wehr.
Funken sprühten.
Dragosch von Sichelhofen stand da, als träumte er.
Frau Aylas zweiter Streich traf. Von oben herab schlug sie,
grell barst das Kettenhemd unter ihrem Schlage. Tief schnitt
die Schneide in Meister Dragoschs linkes Bein.
Der schiere Schmerz riss ihn aus seiner Gleichgültigkeit.
Mühsam keuchend wuchtete er das Lirondiyan über sein Haupt.
Frau Ayla tat’s ihm gleich, stets auf der Hut. Hoch droben trafen
die beiden Schwerter aufeinander, glitten aneinander ab. Das
Antlitz der Baronin aber verzerrte sich vor Schmerz und Anstrengung,
so kraftvoll war der Schlag des Recken gewesen.
Wut und Furcht waren nur mehr in seinen Augen zu lesen. Er
kämpfte wie ein Besessener, achtete gar nicht auf die klaffende
Wunde in seinem Schenkel.
In rascher Folge hob er das Lirondiyan hinauf in die Lüfte und
ließ es auf die tapfere Geweihte herabsausen. Frau Ayla wehrte
sich, so gut sie es vermochte – dem Zorne Dragoschs aber,
der gewahr wurde, dass er um nicht weniger focht als das Recht,
den Namen der Leuin im Munde zu führen, war sie nicht
gewachsen.

Es dauerte nicht lang, da trieb er, der Hinkende, sie vor sich her
wie ein Laub im Winde.
Er drängte und zwang sie um den Ratstisch herum, an den
Schauenden vorüber, hin zur Empore, verhinderte alle Ausflüchte
der Baronin – wollte sie weichen, holte er aus wie ein
Sensenmann nach links und nach rechts, duckte sie sich, schlug
er nach unten, sprang sie, schwang er keuchend das Lirondiyan
über seinem Kopfe ...
Endlich stand sie rücklings zum Throne. Gleichwohl unverletzt,
denn sie war eine Meisterin des Schwertes – vermochte
sie auch dem Zorne des Erhabenen nichts entgegenzusetzen, so
doch den wilden Schlägen im einzelnen.
Für einen Augenblick standen sich die Kombattanten gegenüber,
ohne sich zu rühren. Gerechter Zorn war ins Antlitz der Frau
von Schattengrund geschrieben – Verzweiflung und Furcht in
Meister Dragoschs Gesicht.
Schließlich senkte er den Blick, der Schuldige.
Im nächsten Augenblicke schlug er eine Finte in all seiner
Wut.
Frau Ayla fiel über den Thron des Erhabenen – noch immer
aber war ihre Klinge zur Wehr bereit, noch immer vermochte er
nicht, seine Gegnerin zu bezwingen.
Vor der Winde des Thronhimmels stand Brin, der Schildknappe.
In seinen Händen hielt er Ferlian, den Zweihänder.
“Fort, Knabe!” zischte das Schwert der Schwerter, kaum vernehmbar
– so sehr schmerzte ihn der Stich im Beine. Im selben
Augenblicke schon beschrieb das Lirondiyan ein gleißendes
Rund. Meister Dragosch schickte sich an, die Winde zu zerschmettern.
Er wollte Frau Ayla, die Unbezwingbare – aber
Wehrlose –, feige erschlagen in seiner Not.
Viele hundert Stein wog der Thronhimmel.
Brin, der Schildknappe, stand starr vor Schrecken und Erkennen.
Er rührte sich nicht vom Flecke, denn der Rondra-Geweihte
soll nicht fechten mit unrechten Waffen.
Der Streich würde ihm das Haupt vom Rumpfe trennen.

*****

Im letzten Augenblicke riss Herr Dragosch Lirondiyan vorm
Halse des Jungen – vor der hölzernen Winde, an der der
Thronhimmel hing – in die Höhe. Allein die scharfe Spitze
des alten Zweihänders schlug auf die rostige Kette, die den
Baldachin trug – unweigerlich.
Funken stoben.
Der Thronhimmel schwankte, aber er fiel nicht.

*****

Meister Dragosch unternahm keinen weiteren Versuch, Frau
Ayla zu besiegen.
Als ihm Eiridias in die Seite fuhr, lächelte er.
Als er vornüber kippte – die Knie gaben ihm nach, denn das
linke Bein vermochte er nur noch zu schleifen –, presste er die
Hände auf den tiefen Schnitt, Blut quoll hervor.
Aschfahl und reglos – mit geschlossenen Augen – lag er da.
Sein Leben färbte die alten Eichenplanken rot.
Frau Ayla ließ ab.


*****

Frau Arabel, die Gutherzige, und Brin, der Schildknappe,
waren die ersten gewesen, die neben dem Gefallenen niederknieten
und sein Haupt auf ihren Wämsern betteten.
Zwei lange Praiosläufe noch – angetan mit einem weißen
Büßergewande – siechte Dragosch Aldewîn von Sichelhofen
dahin. Nicht einmal öffnete er in der ganzen Zeit die Augen.
Frau Arabel und Frau Bibernell, auch die treue Ordensmeisterin
Sariya von Donnerbach, hielten unablässig Wacht
an seinem Bette. Wir anderen wandelten unablässig durch die
Gänge der Burg, unschlüssig, was zu tun sei, und gedrückter
Stimmung. Kein einziges Lachen war zu vernehmen. Die
Meister des Bundes hielten Rat immer und immer wieder,
aber sie gelangten zu keinem Entschlusse. Das Horn Fantholi
kündete von der Ankunft des Herzogs der Weidener. Allem
zum Trotze wollte er seinem getreuen Ritter das letzte Geleit
gewähren.
Als der Atem des Sterbenden nur noch langsam und rasselnd
ging, rief Frau Sariya uns in das heimliche Gemach des Herrn.
Todesbleich – weißer noch als Gewand und Bettuch – lag
Dragosch von Sichelhofen auf seinem Sterbelager. Im Rauchfang
flackerte ein loderndes Feuer - viel zu warm und stickig
war das kleine Gelass. Es stank nach Tod und Verderben, unerträglich
süßlich. Eine Stunde lang standen wir schweigend da.
Herzog Waldemar und die Meister des Bundes nahe um das
Bett herum, wir andern an den Wänden und auf dem Gange.
Endlich öffnete der Erhabene die Augen – ein letztes Mal.
Sein Blick war brüchig, verschwommen von den ewigen Schatten,
die seiner harrten – mühsam rief er Brin, den Schildknappen.
“Der du mich im heiligen Augenblicke fandest”, flüsterte
er. Still weinend trat der Jüngling herbei aus seiner dunklen
Ecke, vor dem Bette fiel er auf die Knie.
“Mein Marschall”, sagte er leise und ergriff des Sterbenden
schwache Hand.


Eine Zeitlang lauschte der Knappe seinem Herrn.
Alsdann legte der Erhabene ihm kurz die zittrige Hand auf den
Scheitel und hauchte den alten Segen.


*****

Dragosch Aldewîn von Sichelhofen verschied zur zweiten
Phexenstunde am ersten Tage der Hesinde im Götterlaufe
tausendundsechzehn, in seinem dreiundvierzigsten Winter. Alle
Verzweiflung war aus seinem Antlitze gewichen. Leise lächelte
er. Es war Brin von Rhodenstein, der ihm die Augen schloss
und die Hände auf der Brust faltete. Sie umfassten Aldewîn,
das Schwert seiner Weihe und seines Grabes.

*****

Vor Waldemar, dem Herzog, fiel der Knappe auf die Knie:
“Meister Dragosch bittet Euch, guter Herr, ihm gutherzig
vergeben zu wollen und unserm Orden. Er hat unentwegt und
gegen seinen Tod Buße getan in allen zwei Tagen. In seinem
Geiste hat er gegen das Madamal im Helme gefochten und mit
den wilden Leuen gerungen. Es war wie in früheren Tagen.” Der
Herzog nickte. In väterlicher Anwandlung ließ auch er seine
mächtige Hand kurz auf dem Scheitel des Jungen ruhen.
Brin von Rhodenstein erhob sich. Seine Stimme schallte laut
und weitum vernehmbar:
“Meister Dragosch bittet auch, auf dem Rhodenstein – neben
seinem Freunde Herdan, dem alten Waffenbruder und
Weggefährten – begraben zu werden. Er fürchtet Perricum und
will dorthin nicht getragen werden. Ein Gutteil seiner Schuld,
sagte er, sei in den Drachensteinen verborgen. Dorthin sollen
wir reiten und die liebliche Gefangene aus dem hohen Turme
holen. Er sagte ferner, und ich glaube, dass er wahr sprach, den
alten Erhabenen nicht gemeuchelt zu haben. Der zweite Teil
seiner Schuld lag in seiner schmählichen Lüge … Der dritte
Teil all seiner Schuld war seine Furcht im Angesicht der Ehrlosigkeit,
die ihm im letzten Gefecht auferlegt. …
Seine letzten Worte galten Euch, edle Frau von Schattengrund

– Ihr sollt sein Schwert der Schwerter.”
»Es segne uns Rondra, die Herrin des Krieges,
es bewahre uns Rondra, die Beherrscherin des Sturmes,
es erleuchte uns Rondra, die herrliche Löwin der Zwölfe.
Es stärke uns die Kraft des gleißenden Stahles

Ayla Eiridias von Schattengrund
und unser Glaube, der als eherner Schild vor uns steht.
Dein Wille, o Herrin, sei unser Befehl.«

An den Worten des Knappen Brin zweifelte niemand. Ayla,
die Baronin von Schattengrund zur Mark Windhag, ward
das neue Schwert der Schwerter, die Marschallin des Bundes,
Schild und Wehr der Zwölfgöttlichen Lande.
Der junge Brin wurde auf Ratschluss von Erhabener und Herzog
zum Meister des Bundes der Orkenwehr bestallt. Die
Schwestern und Brüder des Heiligen Ordens zur Wahrung
– ratlos und verwirrt ob alledem – erhoben keinen Einspruch.
Am siebenten Hesindemond wählten sie den Ritter Brin von
Rhodenstein, ehedem Schildknappe des Schwerts der Schwerter,
zum Abtmarschalle auf dem Rhodenstein.
Zur Buße aller Schuld ward dem lehrsamen Orden befohlen,
aus seinen Schriften ein Compendium über das Herzogentum
Weiden und die Orkenwehr zusammenzutragen.

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Post by Rieliesza » 2019-01-30 (Wed) 13:30

Am Thage Frauwen RONdra, alsz vor vielen Götterlaufen die ersten Leuth aus dem fernen Guldenlandt auf Alveranthürn anlangten, war daz Lieblich Feldten ein verwünschenes Landt, daz noch kaum ein klüglich Wesen zuovor geschauet hatt – allein Fuldigor hauste in den Gulden-Felsen – und vielerleien wildt Geschöpf sprangen über Felder, Wiesen unt Wälder: Sintemalen die Leuin, die Königin alln Gethiers unt Gefleuchs./ Da aper warn unter den Guldenländlern die, die schlau warn und tapfer warn; die fühleten sich den Löwen gleich unt denen über, die feig und verschlagen in ihren Häusern warn./ Da aper that sich MYThrael, der Himmelsleu, dem kundt, der GERon hiesz, als mächtig Leu in dunkelm Walde, grad alsz der Recke in ein lieblich Feenseen schwamm. Des Manns Schwertklinge war ferne unt er trat dem Löwen entgegen, blosz wie er war. Der Leu brüllte und bisz und schlug mit den Prancken, und fürewahr risz er des Recken rechte Handt vom Gliede, – GERon aper würgete dasz gewaltige Thier, und endtlich vermochte keiner, den andern zuo bezwingen./ Da aper sprach der ALVeraniar in andrer Gestalten zu GERon: Er that ihm Frauwen RONdras Sein kundt, gab ihm das gulden Schwerte Siebene Streich unt hiesz ihn, von der HERrin in alln Landten zuo künden unt zuo vollführen im Zeichen Frauwen RONdras, wozuo das heilig Schwerte von Herrn PRAjos geschaffen, - dabei hatte der Recke doch allein die linke Handt noch!/ Da aper ritt GERon von dannen, erschlug alles Ungetüm und baute Frauwen RONdra dorten eine Hallen, wo er MYThrael erstmal getroffen und wo heuer Arivoren sich in den Himmel hebet./ Als er diez aper alles vollführet, da wuchs ihm wundersam am rechten Gliede eines Leuen Klaue./ Und er ging hin unt focht mit der Linken und Sieben-Streich, dem himmlischen Schwerte.«
Kinara (Stimmung: )

Bei Alt-Garethi muss ich aufpassen, dass ich mir keine Dyslexie und Alexie zuziehe. :lol: